Anmerkungen zum Positionspapier der Antifaschistischen Linken Freiburg zum 1. Mai, zu finden z.B. auf linksunten.

Der 1. Mai naht und mit ihm die Frage, was tun am Kampftag der ArbeiterInnen, wenn mensch in Freiburg lebt? Eine 1.-Mai-Demo auf die Beine stellen? Den Reden der DGB-Funktionäre lauschen? In eine andere Stadt fahren, in der mehr los ist – oder doch gleich feststellen, dass wir eben in bewegungsarmen Zeiten leben, sich keine richtige Alternative bietet und das Straßenfest im Grün eigentlich genau das Richtige ist, solange die Sonne scheint?

Nach dem Scheitern eines linksradikalen Bündnisses für eine revolutionäre 1.-Mai-Demo will die Antifaschistische Linke Freiburg (ALFR) nun eine Antwort vorlegen, die keine Fragen offenlässt.

Zweifelsohne steht einiges Richtige im Text, und wir beziehen uns gerne auf Menschen, die die Frage nach den Klassenverhältnissen und deren Auflösung weit oben auf die Tagesordnung stellen. Der positive Bezug endet jedoch schnell angesichts der orthodox marxistisch-leninistischen Sprache und Analyse, und wir wundern uns: Wie kommt es, dass der Marxismus-Leninismus seit einigen Jahren ein Revival unter jungen AntifaschistInnen erlebt, nicht nur in Freiburg, sondern bundesweit?

Die allgemeine Verunsicherung angesichts globaler Krisenerscheinungen und die Auflösungserscheinungen der radikalen Linken in den letzten Jahren tragen sicher dazu bei; ebenso die enorme Verschiebung im theoretischen Verständnis vieler radikaler Linker in Zeiten der „Postmoderne“ und „Dekonstruktion“. Wenn nach „antideutschem“ Verständnis Kapitalismus, Nationalismus und Krieg nicht mehr grundsätzlich abgelehnt werden dürfen, es im antirassistischen Kontext als besonders aufgeklärt gilt, sich aus politischen Gründen als Schwarz zu bezeichnen, obwohl mensch Weißer kaum sein könnte, oder mensch mitbekommt, wie der moralische Imperativ des Antispeziezismus oder die queere Dekonstruktion in handfesten psychischen Krisen enden, mag der Rückgriff auf die „objektiven Wahrheiten“ im Marxismus-Leninismus verlocken. Gerade wer instinktiv spürt, dass die Parole „gegen den Kapitalismus“ ohne Verständnis von Klassenverhältnissen so sinnvoll ist, wie „gegen schlechtes Wetter“ zu sein, ist vermutlich froh über die vollmundige Rhetorik von ML-Gruppen wie der ALFR.

Ein Schritt nach vorne, drei Schritte zurück…

„Klassenkampf statt Szenespektakel“ fordert die ALFR eingangs und kritisiert „die Szene“, deren Angehörige sich damit begnügen, korrekte Sprache, Kleidung und Lebensstil zu pflegen, statt eine „Analyse der kapitalistischen Gesellschaft“ zu erarbeiten.

So weit, so wahr, dieser Kritik schließen wir uns in weiten Teilen an. Gespannt warten wir auf die Analyse der ALFR – schließlich fordert sie richtig, diese „soll über die bloße Floskel- und Phrasenhaftigkeit solcher Begriffe hinausgehen“– und stellen fest, die ALFR bietet nur: Floskeln und Phrasen.

Angefangen bei der Arbeiterklasse (die by the way auch aus den Arbeiterinnen besteht), es fehlt jede konkrete Bestimmung, von wem mensch spricht. Alle Lohnabhängigen (worunter auch ne Menge ManagerInnen fallen)? Das Proletariat (diejenigen Lohnabhängigen, die nichts besitzen außer ihrer Arbeitskraft)? Diejenigen Teile des Proletariats, die sich ihrer Lage bewusst sind und kämpfen?

Letztlich stellt sich bei der Analyse der Klassenverhältnisse schnell heraus, dass es „die“ Klasse eben nicht gibt, sondern nur Klassenverhältnisse, die jeweils historisch-konkret analysiert werden müssen. „Die Klasse“ mit einer besonderen historischen Mission gibt es nicht!

In Anlehnung an den ollen Kalle Marx haben nicht wenige versucht, von Klasse an sich und für sich zu sprechen, also einer Beschreibung der kapitalistischen Klassengesellschaft einerseits (an sich) und der Frage danach, welche Kämpfe, welche Subjekte die „reale Bewegung zum Kommunismus“ ausmachen werden (für sich) andererseits. Meistens lässt sich das eine mit dem anderen aber nicht so recht verbinden… Und auf beiden Seiten ist es seitdem nicht einfacher geworden; wir haben ein Mosaik verschiedenster Ausbeutungsformen – und fast ebenso viele Widerstandsformen. Eine zentrale Frage, die daraus folgt, ist die, wie die Kämpfe zusammenkommen, was eine Klammer sein könnte, um die Macht zu entwickeln, zusammen „was zu reißen“!

Erst dann wird aus groben Verallgemeinerungen ein tatsächliches Verständnis der kapitalistischen Verhältnisse und ihrer Bruchstellen.

Wer eine solche Analyse hat, kann es sich auch sparen, Begrifflichkeiten wie „bürgerlich“ zum Dreh- und Angelpunkt revolutionärer Klarheit aufzublasen. Bürgerlich hat tatsächlich mehrere Bedeutungen, eine davon ist eine marxistische Standortbestimmung, bürgerlich in Abgrenzung zu proletarisch. Darüber hinaus bezeichnet der Begriff in unserem Gesellschaftssystem auch den Ort der Hegemonie, die bürgerliche Gesellschaft bestimmt, wie es „zu laufen hat“. In der Szene mag bürgerlich gebräuchlich sein als Synonym für spießig, und gegen diesen Begriff schreibt die ALFR vermutlich an. Vor lauter Eifer verstellt sie sich aber damit den Blick auf die Vielschichtigkeit des Begriffs – und darauf, dass tatsächlich viele ArbeiterInnen ausgesprochen bürgerlich leben. Denn bürgerliche Lebensentwürfe, zuvorderst die bürgerliche Kleinfamilie, haben mit dem Klassenstandort nichts zu tun, sind Mainstream und entsprechend weit verbreitet.

Avantgardekonzepte oder politische Kollektive?!

Die fehlende Analyse fällt der ALFR im weiteren Verlauf prompt auf die Füße, wenn sie ihren Vorschlag für die diesjährige revolutionäre 1.-Mai-Aktivität auspackt: auf zur Veranstaltung des DGB!

Uns scheint, die ALFR versteht die konkrete Rolle des DGB in den Klassenauseinandersetzungen der BRD nicht. Diese kann auch nicht durchschauen, wer die Politik der Gewerkschaften nur als „Kurs der Gewerkschaftsführung“ – die Führung verblendet die Massen?! – kritisiert: Kürzungen, Privatisierungen, die „autoritären Krisenlösungen des deutschen Kapitals“ hinnehmen – so gehe es ja nicht.

Die ALFR übersieht dabei, dass sowohl DGB als auch Einzelgewerkschaften vor allem eine Aufgabe haben: die Vermeidung von störenden Klassenkonflikten. Es geht darum, den Produktions- und Tariffrieden aufrechtzuerhalten, dafür zu sorgen, dass das Kapital sich möglichst ungestört verwerten kann – im Gegenzug gibt es für die Beschäftigten alle 2-4 Jahre eine leichte Anpassung der Löhne an die Inflation.

Massenhafte Lohnsenkungen, längere Arbeitszeiten, weniger Kündigungsschutz, Agenda 2010 und Hartz IV – werden vom DGB mitgetragen. Was kann also folgen, wenn nicht eine Fundamentalkritik am DGB?

Ein weiteres Argument, mit dem die ALFR dem DGB zur Seite springt, lautet: Wer die FAU als tariffähig anerkennen würde, schaffe ein Einfallstor für gelbe Gewerkschaften, also Unternehmensgewerkschaften. Tatsächlich führt der DGB keine politischen Auseinandersetzungen gegen gelbe Gewerkschaften, sondern versucht nur, einen lästigen Konkurrenten loszuwerden.

Doch unabhängig davon, wer braucht schon gelbe Gewerkschaften, wenn in großen Betrieben kaum noch Flächentarifverträge, sondern schlechtere Haustarifverträge gelten? Und wenn die offiziellen Gewerkschaften ohne mit der Wimper zu zucken Tariflöhne unter 5 €/ Stunde aushandeln…?

Reaktionär ist, wer die Hoheit der Organisation, in diesem Fall des DGB, als Wert an sich verteidigt, ungeachtet der Rolle und Politik dieser Organisation!

Bleiben noch drei Argumente der ALFR für den DGB:

eine günstige Arbeits-Rechtsschutzversicherung, Stütze bei der Gründung eines Betriebsrates, und „Revolutionäre [nur die Männer?] sind in den Einzelgewerkschaften des DGB organisiert“.

Aus Versicherungsgründen im Streitfall sind sicherlich viele Mitglied in einer Gewerkschaft, erst recht, da ja keine Beratung ohne Vorzeigen des Mitgliedsausweises stattfindet. Bei einer Betriebsratsgründung haben Beschäftigte im Übrigen nicht nur das Recht, sich von der zuständigen Gewerkschaft unterstützen zu lassen, es bleibt ihnen gar nichts anderes übrig. Und ist der Betriebsrat einmal gegründet, achten nicht zuletzt die Gewerkschaften peinlich darauf, dass er nicht zu politisch wird. Sich zu organisieren ohne Gewerkschaft wird nicht nur ungern gesehen – es wird unterbunden, denn das gefährdet den Betriebsfrieden.

So hat es in Deutschland in den letzten Jahren immer wieder Streiks gegeben, die auf einer Mischung von Eigenaktivität und gewerkschaftlichen Strukturen basiert haben, und eben diese Strukturen wurden im Verlauf der Mobilisierungen immer wieder zur „Bremse“. An dieser Stelle entscheidet sich, ob ein Kampf sich ausweitet, „politisch“ wird, die Gewerkschaftslogik aufbricht – aber das kann gar nicht ins Blickfeld kommen, wenn es nur um die Größe der Organisation geht. Die ArbeiterInnen von Opel in Bochum können ein Lied davon singen, was von der „starken Vertretungsmacht“ übrig bleibt, wenn die Belegschaft entscheidet zu streiken, obwohl die Gewerkschaft dies nicht will, oder aktuell auch die ArbeiterInnen beim Verpackungshersteller Neupack bei Hamburg.

Dass auch Revolutionär(innen) Gewerkschaftsmitglied sind – geschenkt…

Verpasste Chancen

Was vom starken Anfang des Textes übrig bleibt, ist ein Wischiwaschi von Reform und Szenebashing, der alte Fehler des ML, Masse mit Klasse zu verwechseln, und identitätsstiftende Phrasen.

Eine Analyse der Klassenverhältnisse vor Ort und einen Standort für revolutionäre Aktionen am 1. Mai liefert der Text leider nicht. Der Zuschnitt der Analyse der ALFR ist unkritisch. Schließlich geht es um nichts weniger als eine umfassende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse – und von uns selbst – in einem umwälzenden Prozess. Das ist viel mehr als das antiquierte Gerede von der „Machtübernahme der Arbeiterklasse“, womit ja meist die Machtübernahme durch die eigene „revolutionäre Organisation“ gemeint ist. Damit offenbart der Text ein instrumentelles Verhältnis zu „den Massen“, die auf dem 1.-Mai-Fest des DGB abgefischt werden sollen.

Schade, denn ein wirkliches Verständnis davon, in welcher Situation wir uns befinden, könnte den Weg aufmachen für Aktionen jenseits der Frage „Demo oder DGB“. Auch in Freiburg gibt es „aktionsrelevante Themen“ für einen 1. Mai: die Abschiebepolitik der Stadt/Landesregierung, die Kürzungspläne beim größten Arbeitgeber Uniklinik, die ständigen Mieterhöhungen… Bereiche, die sich weiterentwickeln ließen,– vielleicht mit mehr Perspektiven als in einer Diskussion über das „Bierfest“ des DGB.

Soziale Revolution oder Barbarei!

Viel zu viel Arbeit, April 2013

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