Antifaschistische AktionBeitrag zur Broschüre: 1. Mai – Geschichte eines Tages

Auch in diesem Jahr sind für den 1.Mai, den internationalen Kampftag der ArbeiterInnenklasse, mehrere faschistische Aufmärsche geplant. So wollen Dortmunder FaschistInnen unter dem Motto „Gemeinsam gegen Kapitalismus – Heraus zum 1. Mai!“ marschieren. Die NPD Hessen hat am selben Tag einen Doppelaufmarsch in Raunheim und Rüsselsheim angekündigt. Auch ihr Aufruf ist von antikapitalistischen Floskeln durchsetzt. Doch warum marschieren ausgerechnet FaschistInnen am Kampftag ihres politischen Gegners? Warum bemühen sie sich einer antikapitalistischen Demagogie? Wie weit ist es mit dem Antikapitalismus der Nazis tatsächlich her? Als Antwort auf diese und andere Fragen ist ein Blick auf die Nazi-Ideologie und auch in die Geschichte notwendig. Bekanntlich waren es die Nazis, die den 1. Mai kurz nach der Machtübertragung 1933 zum ersten Mal in seiner Geschichte in Deutschland zu einem bezahlten Feiertag machten, freilich nicht unter der Losung des Kampftages der internationalen ArbeiterInnenklasse, sondern als „Tag der nationalen Arbeit“.

Die Ideologie der Nazis und der 1. Mai

Volk und „Volksgemeinschaft“

Jedwede ideologische Überlegung der Nazis geht aus von der Kategorie des Volks. Die Nazi-Lesart des Volksbegriffs leitet sich dabei nicht etwa von dem Versuch einer Abgrenzung Beherrschter von Herrschenden her, sondern folgt biologistisch-rassistischen Kriterien. Konkret heißt das: „Rassisch Unreine“, d.h. „Fremdstämmige“ oder Jüdinnen und Juden können nicht Teil des „Volkes“ werden. Für das Überleben des „Volkes“ sei dessen Einigkeit Voraussetzung. Daher ist grundlegend für die Ideologie der Nazis die Vorstellung einer „deutschen Volksgemeinschaft“, in der alle sozialen Gruppen und Klassen aufgehen sollen und zu organisieren sind. Der Nation, verkörpert in der „Volksgemeinschaft“, sollen die verschiedenen sozialen Gruppen ihre Partikular- und Gruppeninteressen opfern. Also sollen z.B. die ArbeiterInnen nicht selbst in Gewerkschaften für ihre Interessen kämpfen, sondern auf die „Volksgemeinschaft“ vertrauen, die ihren berechtigten Forderungen schon irgendwie nachkommen werde. Folgerichtig heißt eine aktuelle Parole der neofaschistischen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) „Volksgemeinschaft statt Klassenkampf!“.

Die Nazis und die ArbeiterInnen

Dass die Nazis dem „deutschen Arbeiter“ schon immer einen gewichtigen Platz in ihrer Gedankenwelt eingeräumt haben, ist schon an ihrer Namensgebung ersichtlich. Die deutschen FaschistInnen gaben ihrer Partei den Namen „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei“ (NSDAP). Freilich sollte man die Begriffe „Sozialismus“ und „Arbeiter“ nicht einfach für bare Münze nehmen und als Tatsache für die eigene Analyse übernehmen, handelt es sich ja zunächst einmal nur um die Eigenwerbung der Nazis, denn die NSDAP war weder sozialistisch noch in erster Linie eine Arbeiterpartei. Gleichzeitig allerdings sagt diese Namensgebung sehr wohl einiges über Zielsetzung und Selbstverständnis der Nazis aus. So gaben die Nazis die Gewinnung des „deutschen Arbeiters“ für den „nationalen Sozialismus“ als ein vorrangiges Ziel aus. Adolf Hitler hierzu: „Ich werde keinen gröeren Stolz in meinem Leben besitzen als den, am Ende meiner Tage sagen zu können: Ich habe dem Deutschen Reich den deutschen Arbeiter erkämpft.“ Neben dem Soldaten und dem Bauern kommt also dem Arbeiter eine besondere und tragende Rolle für das Ideal der „deutschen Volksgemeinschaft“ zu, auf die der „deutsche Arbeiter“ verpflichtet werden soll. Den Nazis geht es dabei nicht um die Befreiung der ArbeiterInnen vom Kapitalismus oder auch nur ansatzweise um die Erfüllung von deren individuellen Bedürfnissen. Sie sollen sich im Gegenteil als Soldaten für die „größere Sache der Nation“ aufopfern.

Die Nazis und die ArbeiterInnenbewegung

Das Angebot der Nazis an die ArbeiterInnen ist also ein grundlegend anderes und verhält sich gegensätzlich zu dem der ArbeiterInnenbewegung. Damit befinden sich ArbeiterInnenbewegung und FaschistInnen in einer Konkurrenzsituation. Die Beseitigung der sozialistischen ArbeiterInnenbewegung war von großer Bedeutung für die Nazis, um den Einfluss ihrer nationalistischen und antisemitischen Ideologien in der ArbeiterInnenschaft zu festigen und zu steigern Daher gehörten die Zerschlagung der Organisationen der ArbeiterInnenbewegung und die Einlieferung von deutschlandweit zehntausenden KommunistInnen und SozialistInnen in die dazu errichteten frühen Konzentrationslager zu den ersten Maßnahmen, die die Nazis bereits einige Wochen nach der Machtübertragung in Angriff nahmen.

Die Nazis und der 1. Mai

Im Jahr 1933 wurde der 1. Mai unter den Nazis zum ersten Mal in der deutschen Geschichte zu einem bezahlten Feiertag. Die Nazis wollten mit diesem Akt die symbolische Integration der deutschen ArbeiterInnenschaft in die „Volksgemeinschaft“ vollziehen. Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB), der Dachverband der sozialistischen Gewerkschaften, hatte diesen Schritt begrüßt und rief die ArbeiterInnen zur Teilnahme an den 1. Mai-Feiern der Nazis auf, an denen schließlich Hakenkreuz-Fahnen neben denen des ADGB wehten. Bereits zuvor hatte sich die ADGB-Führung unter Theodor Leipart der faschistischen Regierung angedient und die Kontakte zum Internationalen Gewerkschaftsbund abgebrochen, dessen Entwicklung seit der Jahrhundertwende maßgeblich von den deutschen Gewerkschaften geprägt worden war. Die ADGB-Führung erhoffte sich durch diese opportunistische Politik des Anbiederns an die neuen Herren den Erhalt der eigenen Organisation. Doch auch diese naive Hoffnung blieb unerfüllt. Bereits einen Tag später stürmten und besetzten Sturmabteilung (SA), Schutzstaffel (SS) und Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO) in ganz Deutschland die Gewerkschaftshäuser, verhafteten dabei zahlreiche GewerkschafterInnen und Angestellte und verbrachten zahlreiche von diesen in Konzentrationslager. In diesem Zusammenhang kam es auch zu mehreren Morden an KollegInnen. Der 1. Mai 1933 stand unter dem Slogan „Feiertag der nationalen Arbeit“ und markierte so schon im Motto den Unterschied zum internationalen Kampftag der revolutionären ArbeiterInnenklasse. Es geht hier nicht mehr die Klasse der ArbeiterInnen, sondern um das „deutsche Volk“ als homogene Zusammenfassung von ArbeiterInnen, KapitalistInnen und allen Individuen, dem der „deutsche Arbeiter“ zu dienen habe. Die Interessenwahrnehmung der arbeitenden Bevölkerung gegenüber den Unternehmen wurde nicht mehr thematisiert. Der 1. Mai diente nicht mehr dazu, für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen, sondern zelebrierte das Leiden körperlicher Arbeit als „deutsche Tugend“.

Die Nazis und die Arbeit

Bedeutendes Moment in der Ideologie der Nazis ist deren Arbeitsbegriff. Dieser scheidet ein negativ bewertetes, angeblich jüdisches „raffendes“ Finanzkapitel, das von außen komme, von einem positiv verstandenem „schaffendem deutschen Industriekapital“. Die vordergründige antikapitalistische Demagogie der FaschistInnen richtet sich also lediglich gegen „ausländisches Kapital“. Der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, der Kapitalismus als soziales Verhältnis überhaupt, bleibt unangetastet. So ist offensichtlich, dass es sich beim „Antikapitalismus“ der Nazis insoweit nur um Phrasen handelt, als darunter ein Ende von Ausbeutung und Unterdrückung zu verstehen wäre. Für die realen Verhältnisse machen sie fremde Mächte verantwortlich. Dabei ist grundlegend, dass es sich hierbei um eine explizit antisemitische Konstruktion handelt: Hinter dem Finanzkapital, der „schlechten Seite des Kapitalismus“, stehe das „internationale“ und deshalb „national unzuverlässige“ Judentum.

Die Nazis heute

Alle behandelten Elemente sind auch konstituierend für die heutigen Nazis. Das betrifft die Forderungen nach Auflösung der selbständigen Organisationen der ArbeiterInnen genauso wie das Ziel der Verwirklichung einer „Volksgemeinschaft“ oder die antisemitische Wahnvorstellung der Existenz eines internationalen „raffenden jüdischen Finanzkapitals“, dem ein positives „schaffendes, nationales Kapital“ gegenübergestellt wird. So kündigte die NPD Freiburg im März 2006 auf ihrer Homepage einen Vortrag mit dem Faschisten Stefan Wollenschläger zum Thema „Wem gehört die deutsche Wirtschaft?“ an. Das braucht nicht zu verwundern. Tatsächlich hat niemals ein Bruch zwischen alten und neuen FaschistInnen stattgefunden, weder in der Ideologie noch in der Organisation. In diesem Zusammenhang sind auch die aktuellen Versuche und Provokationen der Nazis zu sehen, den 1. Mai für sich zu beanspruchen. Kennzeichnend ist weiter, dass die Nazis, damals wie heute, dies alles in eine raffinierte antikapitalistische Demagogie verpacken. So stand auf einem Wahlplakat der NSDAP aus dem Jahr 1932: „Der Marxismus ist der Schutzengel des Kapitalismus“. Unter Kapitalismus wiederum wird dabei lediglich ausländisches Kapital verstanden, das angeblich das „deutsche Volk“ versklave. Das geschieht grundsätzlich mit antisemitischem Unterton, denn die Nazis behaupten, hinter allem stünden die Juden. Auch das Gerede der heutigen Nazis von wegen „Gemeinsam gegen Kapitalismus“ ist so zu verstehen. Um die Beseitigung der Ausbeutung geht es ihnen niemals. Indem sie aber den Widerspruch der Interessen von ArbeiterInnen und KapitalistInnen leugnen, ihnen mit dem Ziel einer „Volksgemeinschaft“ gar gemeinsame Interessen unterstellen, stehen sie tatsächlich für eine Intensivierung der Ausbeutung.

Antifaschistische Perspektiven

Inhaltliche Konsequenzen:

Die offene Verbreitung solcher Nazi-Ideologie findet kaum Verbreitung über den Kreis der FaschistInnen selbst. Dennoch fällt auf, dass Versatzstücke einer solchen Ideologie durchaus auch bis in die Kreise der politischen Linken und der Gewerkschaften einen gewissen Einfluss haben: So vollzog die Freiburger Bürgerinitiative „Wohnen ist Menschenrecht“, die durch ihr Wirken erfolgreich den Verkauf des städtischen Wohnungsbestandes verhinderte, jene Trennung von gutem und schlechten Kapital, bildlich dargestellt in Heuschrecken, die aus dem Ausland auf den städtischen Wohnungsbestand in Freiburg herfallen. Die hiesige, wenn auch völlig unbedeutende, NPD nahm diese Steilvorlage nur zu gerne auf und verwendete auf ihrer Homepage exakt die Symbolik der Bürgerinitiative. Auch ist für jeden Menschen mit halbwegs klarem Verstand eine gewisse Analogie der von den Gewerkschaftsführungen propagierten „Sozialpartnerschaft“ von ArbeiterInnen und UnternehmerInnen zu der von den Nazis propagierten „Volksgemeinschaft“ ersichtlich: Beide Modelle unterstellen den ArbeiterInnen, im selben Boot mit den UnternehmerInnen zu sitzen und lehnen den Klassenkampf ab.

Praktische Konsequenzen:

Die Kritik einer antifaschistischen Linken muss sich folglich sowohl der Taktik der Sozialpartnerschaft als auch Erklärungsversuchen, die für die Privatisierung von Wohnraum „ausländische Heuschrecken“ verantwortlich macht, entgegenstellen. Weitere Schlussfolgerungen sind weniger theoretisch: Weiterhin gilt es, Nazis überall und auf allen Ebenen zu isolieren und zu bekämpfen. Es darf keinen Raum und keinen Ort geben, an denen die FaschistInnen sich ungestört breitmachen und aufmarschieren können, gerade nicht am 1. Mai, dem Kampftag der Linken.

Den Provokationen der Nazis am 1. Mai und immer entgegentreten! FaschistInnen isolieren und bekämpfen!

Antifaschistische Aktion Freiburg, April 2007

Dieser Text erschien als Beitrag in einer Broschüre zum 1. Mai, die von der Zeitung Sisyphos herausgegeben wurde.