Im Oktober 2017 war eine Delegation der Antifaschistischen Linken Freiburg (IL), Organisierten Linken Heilbronn (IL) & Friends in Katalonien, um das Referendum über die Unabhängigkeit von Spanien zu beobachten. Zudem sollte sich auch mit der katalanischen Linken ausgetauscht werden. Die folgenden Eindrücke sind dabei entstanden.

Unabhängigkeitsreferendum am 01.10.17, Vilanova i la Geltrú & Barcelona

Kurz nach 5 Uhr kommen wir an der Escola Aragai an. Ca. 40 Leute jeden Alters sitzen bereits vor und im Gebäude, am Eingangstor stehen weitere und grüßen freundlich mit „Bon dia“ als wir eintreten. Die Escola Aragai ist eine von 14 besetzten Schulen in Vilanova, die als Wahllokale genutzt werden, erzählt uns Pau. Fast alle Rektoren hatten die Schlüssel freiwillig übergeben, um die Abstimmung zu ermöglichen. Nur hier hatte sich der Rektor geweigert. Man weiß sich zu helfen… Abgesehen davon ist es eine ganz normale Wahl. Angespannt ist die Stimmung nur, wenn die katalanische Polizei „mossos d´esquadras“ vorbeifährt. Sie haben die Order, die Urnen und Stimmzettel zu beschlagnahmen und die Wahllokale zu schließen. Bis jetzt scheinen sie aber nicht sonderlich motiviert zu sein, diese Anweisung umzusetzen.

Als wir in der Schule ankommen, schlafen in den Nebenräumen noch Menschen, an einem Tisch wird Karten gespielt, man unterhält sich. Manche übernachten bereits seit zwei Tagen in der Schule, andere sind früh aufgestanden, um die Wahllokale zu besetzen. Wenn viele Leute den Eingang blockieren werden die Mossos die Räumung nicht durchsetzen, heißt es. Mehr und mehr Menschen kommen hinzu. Als gegen 7 Uhr die erste Streife ankommt, ist die Eingangstüre längst mit 50 Menschen verstopft. Eine kurze Verhandlung beginnt und die Polizei zieht nach wenigen Minuten unverrichteter Dinge wieder ab. Heute hat sie keine Lust auf Stress. Die Schlange vor dem Wahllokal wächst kontinuierlich und ein kleines Video-Team hält die Situation in Interviews für kommende Generationen fest.

Auch Jorge steht an und möchte wählen. „Ich bin mit meinem Sohn und Enkelkind hier“, verrät er uns. Warum er wählen möchte? „Wegen meiner Enkel, damit sie ein besseres Leben haben“. Er möchte eine sozialere Politik und findet, dass das mit dem spanischen Staat nicht möglich ist. „Die Regierung muss von hier sein, damit sie die Probleme der Leute kennt“.

Auf dem Weg nach Barcelona treffen wir zwei Frauen und einen Mann mittleren Alters. „Man schlägt keine alten Frauen“, empört er sich lauthals über die spanische paramilitärische Polizei „Guardia Civil“ in den Videos im Internet. „Jeder kann abstimmen. Ich werde auch mit „Nein“ stimmen. Und? Passiert mir was?“ kommentiert er. „Das ist kein Respekt für das Volk“.

In Barcelona sind die Straßen ruhig. Nur vor den Wahllokalen stehen Tausende Schlange und warten stundenlang, um ihre Stimme abzugeben. An der Escola Ramon Llull werden wir an ein anderes Wahlbüro verwiesen, da dieses am Morgen von der Guardia Civil unter Anwendung von Gewalt gestürmt und die Wahlutensilien beschlagnahmt wurden. Am Plaza Catalunya ist die Stimmung geladen. Die Video-Übertragung auf der Leinwand wurde unterbrochen, ca. 50 spanische Faschisten stehen auf dem Platz. Als 3 Menschen mit Katalonien-Fahnen auftauchen werden sie mit Hitlergruß und „Viva España“, der Parole der Faschisten unter Franco, empfangen. Sie prügeln mit Fäusten auf die jungen Leute ein – die Polizei kommt erst Minuten später hinzu.

Gegen 20 Uhr schließen die Wahllokale. Was nun passiert scheint unklar. Während die einen euphorisch und gespannt der angestrebten Unabhängigkeit entgegen blicken, die nun zum Greifen nah erscheint, gibt es auch kritische Stimmen. Was die Menschen, die am Sonntag in die Wahllokale strömen eint, ist der Wille selbst über die eigene Zukunft und das eigene Leben zu entscheiden und demokratische Rechte einzufordern. Gleichzeitig ist es mit dem bloßen Willen natürlich nicht getan und für uns bleibt darüber hinaus die Frage, welche progressiven Inhalte die katalanische Unabhängigkeitsbewegung neben dem Wunsch nach Unabhängigkeit eint bzw. welche Widersprüche es innerhalb dieser Bewegung gibt.

Antifaschistische Linke Freiburg (IL), Organisierte Linke Heilbronn (IL) & Friends, Oktober 2017.